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Meine muslimische Freundin

Wer für längere Zeit in einem islamischen Land lebt und arbeitet, schliesst Freundschaften mit Menschen vor Ort. Marianne, die seit fünf Jahren mit ihrem Mann Ernst in Mali im Einsatz ist, berichtet:

Meine Sprachmutter
Meine Freundin Mata (35, Name geändert) treffe ich fast jeden Tag. An fünf Vormittagen in der Woche kommt sie zu uns nach Hause, um uns beim Sprachstudium zu helfen. Mata ist eine hervorragende «Lehrerin», obwohl sie als Kind nie Lesen und Schreiben gelernt hat. Sie ist mir sehr ans Herz gewachsen und wir sind uns im Verlauf der letzten fünf Jahre sehr nahe gekommen. Mata erzählt ihren Freundinnen, sie sei meine schwarze Tochter. Das könnte sie wohl auch sein, denn wir haben tatsächlich eine Tochter in ihrem Alter. Trotz Altersunterschied gibt es in unserer Freundschaft ein gutes Gleichgewicht. Mata ist mir so viele Schritte voraus, wenn es um Sprache und Kultur ihrer Volksgruppe geht. Hier bin ich die Lernende.

Schwierige Kindheit
Mata hat eine schwierige Kindheit und Jugend erlebt. Ihr Vater hat, wie das hier weit verbreitet ist, mehrere Frauen. Er ist ein frommer und angesehener Muslim. Als Mata zwei Jahre alt war, liess er sich von ihrer Mutter scheiden und schickte diese fort. Mata und ihr Bruder blieben beim Vater, denn Kinder gehören immer dem Vater.
Weil sich keine der anderen Frauen des Vaters um die beiden Kinder kümmern wollte, kam Mata zu einer Tante. Dort wurde ihre Arbeitskraft gebraucht. Obwohl die Tante es ihr versprochen hatte, durfte Mata nie die Schule besuchen. Nur die Buben wurden in die Schule geschickt. Ich bin seit Längerem daran, Mata im Lesen und Schreiben zu unterrichten und sie hat schon gute Fortschritte gemacht. Unterdessen sind wir ein Teil ihrer Familie geworden und fühlen uns auch schon mal als «Ersatzgrosseltern» für Matas Kinder.

Früh verheiratet
Als Mata zwölf oder dreizehn war, wurde sie mit einem ihr unbekannten, knapp 20 Jahre alten Mann verheiratet. Das ist üblich in dieser Kultur. Die Männer haben wenig Achtung vor ihren Frauen. Eine Ehebeziehung, wie wir das kennen, gibt es nicht. Mata weiss oft nicht, was ihr Mann gerade tut und wo er ist. Sie kam auch schon in Tränen aufgelöst zum Sprachunterricht, weil ihr Mann sie geschlagen hatte. Eigentlich ist ihr Ehemann ein ganz anständiger Kerl, aber eine Ehefrau hat in dieser Kultur eine geringe Stellung. Mata hat sechs Kinder, die Älteste ist 13, der jüngste knapp 3 Jahre alt. Eine Tochter lebte vorübergehend nicht mehr bei ihr, da sie vom Vater an eine Verwandte «verschenkt» wurde, die keine Töchter bekommen konnte. Mata litt stark unter dieser Trennung. Wegen der Scheidung der «Ersatzeltern» ist das Mädchen unterdessen wieder zurück in Matas Familie.

Lange Arbeitstage
Lange vor Sonnenaufgang steht Mata auf und bereitet das Frühstück zu. Dazu muss sie zuerst Feuer machen, dann Wasser kochen und anschliessend den Hirsebrei zubereiten. Das Wasser muss in der Nachbarschaft geholt werden. Wenn die Kinder gewaschen und angezogen sind, bringt sie die beiden älteren mit ihrem Motorrad zur Schule. Der Weg ist weit und Mata ist es wichtig, dass ihre Kinder pünktlich im Unterricht sind. Die beiden jüngeren gehen in einen Kindergarten in der Nähe.

Clevere Geschäftsfrau
Danach öffnet Mata ihren kleinen Kaufladen. Sie hat einen Raum an ihrer Strasse gemietet. Dort verkauft sie Dinge wie Reis, Zucker, Tee, Speiseöl oder auch Seife. Auf dem Markt erwirbt sie grössere Warenmengen, die sie dann mit einem kleinen Gewinn weiterverkauft. Sie hat den Laden gut im Griff und da ihr Mann nicht immer Arbeit hat, ist ihr Einkommen nötig, um die Familie durchzubringen. Wenn Mata zum Unterricht geht oder im Hof des Hauses Kleider wäscht, passt die älteste Tochter auf den Laden auf. Nach dem Mittagessen müssen die Kinder wieder in die Schule gebracht werden. Nachmittags und abends kommen weitere Kundinnen zum Einkaufen oder zu einer Tasse Tee. Nach dem Kochen und dem Abendessen bleibt ebenfalls keine Zeit für Musse. Spätnachts sperrt Mata den Laden zu und legt sich zu ihrer Familie zum Schlafen.

Freundschaft ohne Bedingungen
Beim Sprachunterricht lesen wir oft zusammen Texte aus der Bibel oder ich lese Mata aus den Evangelien vor. Das interessiert sie sehr. Sie vergleicht das Gehörte dann oft mit dem, was sie aus dem Islam kennt. Insgesamt weiss sie eigentlich recht wenig über ihre Religion. Sie hat viele Ängste, sie fürchtet sich vor Dämonen und bösen Geistern. Allerlei Volksglaube vermischt sich mit dem Islam. Ich bete auch mit ihr und für sie. Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als dass sie Jesus Christus nachfolgen würde. Dennoch ist unsere Freundschaft nicht daran geknüpft, dass Mata meinen Gott annehmen müsste. Ich glaube, dass sie unterdessen weiss, worum es geht. Sie beobachtet uns genau. Ein malischer Freund der selber ursprünglich Moslem war und jetzt Christ ist, hat uns einmal gesagt: «Bedenke, dass hinter jeder Frau, zu der du tiefen Kontakt hast, mindestens hundert andere Frauen stehen, die vieles von dem, was sie von dir hört und sieht, mitbekommen.» Ich bin überzeugt, dass das für Mata zutrifft.


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