Histoires

Freundschaft braucht Zeit

Das erste Mal treffe ich Fatima zufällig unterwegs, als wir beide die Strasse überqueren. „Dein Junge schaut müde aus ... und meiner“, ich zeige auf meinen Sohn in der Babytrage, „hat Hunger!“ Wir kommen schnell ins Gespräch über Kinderernährung und unsere Lebensumstände und sprechen ab, uns demnächst in der naheliegenden Kirche beim Krabbelkreis für einen Tee zusammenzusetzen. Ich warte Wochen, aber sie kommt nicht. Ich vermute, dass sie vielbeschäftigt ist, also warte ich geduldig, aber zu dem verabredeten gemeinsamen Tee kommt es nicht.

Enttäuschung versus Neugierde
Nach vier Wochen werde ich wieder aktiv und beginne, sie in ihrem Nähatelier aufzusuchen. Dort angekommen wird mir mitgeteilt, dass sie gerade weggegangen sei, aber gleich wiederkomme. Geduldig wartete ich dort, bis mein Sohn zu unruhig wird. Mit „Ich komme nächste Woche noch mal vorbei“ verabschiede ich mich. Zu einer anderen Uhrzeit, zu der die Chancen besser stehen, sie anzutreffen, will ich es wieder versuchen. Als ich ein paar Tage später wieder ins Geschäft komme, erhalte ich die Auskunft, dass sie mit ihrem Sohn im Krankenhaus sei, da er sich verletzt habe und an der Stirn genäht werden müsse. Aber morgen sei sie wieder da.

Am nächsten Tag heisst es, die Wunde sei aufgegangen, sie musste wieder ins Krankenhaus. Zwei Tage später komme ich mit „Gute-Besserung“-Halal-Süssigkeiten wieder. Sie ist nicht da, erhält aber die Süssigkeiten und einen schriftlichen Gruss von mir. An diesem Punkt bin ich sehr verunsichert: Was ist nur los? Ich muss den Leuten im Geschäft schon auf die Nerven gehen, andauernd tauche ich auf und immer zum falschen Zeitpunkt. Vielleicht kann sie sich gar nicht mehr an mich erinnern, ich weiss ja selbst gar nicht mehr, wie sie aussieht. Einerseits wollen mich langsam die Ungeduld und auch die Unzufriedenheit die Kontaktaufnahmeversuche wieder abbrechen, lassen, andererseits steigt die Neugierde: Was steckt bloss dahinter, dass wir uns ständig verpassen?

Freundschaft wächst
Ein bis zwei Mal muss ich noch auf Fatima warten und sie verpassen, bis wir uns schliesslich sehen. Sie entschuldigt sich, dass ich sie immer verpasst habe, und bedankt sich für die Aufmerksamkeit. Sie lädt mich spontan zu sich nach Hause ein und serviert mir einen leckeren Mangosaft. Wir unterhalten uns gut. Im Gespräch kommen wir auf ihr Handwerk zu sprechen, und ich lobe beiläufig die Gewänder der pakistanischen Frauen. Am Ende, bevor ich wieder aufbreche, verspricht sie, mir ein solches Kleid zu besorgen. Ich danke ihr für ihre Grosszügigkeit und weiss gleichzeitig, dass sie wirklich sehr beschäftigt ist, weil nach dem Fastenmonat viele Hochzeiten gefeiert werden, für die sie nähen muss.

Ein Kleid!
Unsere letzten zwei Begegnungen sind an Eid (das islamische Fest des Fastenbrechens am Ende des Ramadan) und eine Woche später. An diesem wichtigen Feiertag schaue ich mit ein paar Freunden und Geschenken bei ihr im Atelier vorbei. Wieder lädt sie uns freundlich zu sich nach Hause ein und verbringt Zeit mit uns, während sie ihre Kinder für das Fest schick macht. Eine Woche später kommt sie wie verabredet in die Kirche zu einem Angebot und bringt mir ein wunderschönes pakistanisches Gewand mit: Die Grösse passt, die Farben stehen mir, und ich hätte es besser nicht aussuchen können. Ich weiss gar nicht, wie ich mich bei ihr bedanken kann. Das Kleid zeigt mir so schön, wie wichtig ich ihr auch geworden bin, und dass Freundschaft Zeit braucht.

Praktikumsmöglichkeit in Birminigham/England
Seit mehreren Jahren bietet das ReachAcross-Team in Birmingham die Möglichkeit, ein Praktikum zu absolvieren und so Einblick in die Arbeit unter Muslimen zu bekommen. Dieser Einsatz macht es möglich, neue Erfahrungen zu sammeln und, betreut von erfahrenen Mitarbeitenden, den Islam kennenzulernen.

www.reachacross.ch