Histoires

Lorenzo: Gefängnis abgewendet

Anfang 2014 absolvierte ich ein Praktikum in Santaní, Paraguay. Ich war als «Ayudante» (Hilfe) in der zweiten Klasse des «Colegio Gutenberg», der Schule des Kinderwerks und am Nachmittag gab ich Nachhilfe. Drei Mal die Woche hatte ich einen ganz besonderen Schüler: Lorenzo.

Launisch und aggressiv

Lorenzo wurde als Baby von seiner Mutter verlassen und lebt bei seiner Oma. Ich übte mit ihm die Zahlen 1 bis 10. Weil Zuhause nur Guaraní (die Sprache der indigenen Bevölkerung) gesprochen wurde, konnte er anfangs kaum Spanisch. Lorenzo war sehr launisch und wollte oft nicht mitmachen. Er kannte jede Menge Schimpfwörter und manchmal wurde er sogar gewalttätig. Auf der anderen Seite suchte er nach Liebe und Anerkennung. Er mochte es, wenn man ihn in den Arm nahm und ihm ein Lob aussprach.


«Leider ist das Gefängnis voll»

Die Lehrer versuchten auf alle erdenkliche Weise, den Jungen auf einen guten Weg zu bringen. Eine «Erziehungsmassnahme» lies mich besonders schmunzeln: Weil Lorenzo seine Mitschüler immer wieder bestielte, sagten ihm die Lehrer: «Wenn du so weitermachst, wirst du mal im Gefängnis landen!» Als er beim nächsten Diebstahl erwischt wurde, setzte sich der Schuldirektor prompt mit ihm ins Auto und fuhr zum städtischen Gefängnis. Ein Wärter, der in den Plan eingeweiht war, zeigte Lorenzo die Gefängniszellen. «Leider ist das Gefängnis gerade voll», sagte er. «Ich werde mich bei Ihnen melden, sobald ein Platz frei wird.» Danach hat Lorenzo nie wieder gestohlen. Zugegeben, für uns in Europa ist das eine heftige Erziehungsmethode, aber sie war sehr wirkungsvoll.  

Am Ende meines Praktikums hatte ich Lorenzo trotz allem ins Herz geschlossen und der Abschied fiel mir schwer.

 

Es hat sich gelohnt

Im November 2017 kehrte ich noch einmal für sechs Wochen nach Santaní zurück. Ich war gespannt und fragte mich, ob Lorenzo mich wohl wiedererkennen würde. Meine Sorge war unbegründet: «Klar! Du hast mit mir immer Psalm 23,1 gebetet», lachte er mich an. Lorenzo kann inzwischen bis über 100 zählen und er liest super gut. Es hat mich tief berührt, seine Fortschritte zu sehen. Seine Oma erzählte freudestrahlend, wie sehr er ihr immer hilft. Da sie Analphabetin ist, helfen Lorenzos Spanischkenntnisse ihr sehr. All die Liebe, Zeit und Geduld, die Lehrer und Mitarbeitende jahrelang in ihn investiert haben, scheinen sich gelohnt zu haben. Auch im Unterricht fällt er durch sein Verhalten kaum noch negativ auf.

 

Katharina Schmutz

 

kinderwerk-lima.ch