Histoires

Nicht erwartete Herzlichkeit – oder: das Ende von Vorurteilen

Seit 27 Jahren lebe und arbeite ich unter Indigenen in Südamerika. Mich freut es, wenn ich erleben darf, dass Indianer mit viel Einsatz und Herzblut Gottes Liebe weitergeben. So wie dieser einheimische Freund aus dem Stamm der Shipibo-indianer im Tiefland Perus:
«Ende 2018 waren mein Schwiegervater und ich eingeladen, in einem Dorf des Stammes der Awajún im Amazonastiefland von Peru einen zweiwöchigen Bibelkurs durchzuführen. Wir gehören zu der Gruppe der Shipibo-Indianer und leben in der Gegend des Ucayali-Flusses. Die Mehrheit der Awajún leben über 550 Kilometer entfernt im Norden Perus, im Einzugsgebiet des grossen Marañón-Flusses. Innerhalb von drei Tagen gelangten wir per Bus, Sammeltaxi und Motokar von Pucallpa bis zu unserem Bestimmungsort, dem Centro Wawik.

Angst vor den Awajún-Indianern
Ich hatte immer gehört, dass die Awajún ein impulsives, ja fast aggressives Volk seien und hatte mir während der Anreise ernsthafte Sorgen gemacht – völlig unbegründet. Ich wurde bisher nirgends so herzlich empfangen und umsorgt wie in diesem Awajún-Dorf! Das hat mich äusserst überrascht und sehr berührt.
Weil die Shipibo und die Awajún einer unterschiedlichen Sprachgruppe angehören, haben wir uns auf Spanisch verständigt. Im Unterricht, beim Predigen und bei den Hausbesuchen arbeiteten wir allerdings mit einem Übersetzer, da manche, vor allem Frauen kein Spanisch können.
Es hat mich bewegt, zu sehen, mit wie viel Hingabe die Leute von Wawik ihren Glauben leben und wie sie Gott anbeten. Nicht schlecht staunte ich, als sie für die Kollekte an Stelle von Geld Naturalien brachten, z. B. Bananen oder Eier. Ich als Shipibo war bisher der Meinung, dass diese Gaben vor Gott minderwertig sind.
An einem Tag ging ich mit dem Pastor durch das Dorf. Eine Frau brachte mir aus Dankbarkeit für unseren Einsatz in ihrem Dorf zwei Eier. Der Pastor hat an Ort und Stelle für die Frau gebetet, dass Gott sie segnen möge. So etwas habe ich bei meinen Leuten noch nie erlebt!
Es hat mich sehr aufgestellt, dass wir durch unseren Aufenthalt die Leute ermutigen konnten. Der Pastor ist noch nicht fertig mit seiner Bibelschulausbildung. Er ist jung und fühlt sich oft unsicher. Einige Awajún baten darum, getauft zu werden. Da sagte ich zum Pastor, dass er es sei, der diese Leute taufen werde. Zuerst wehrte er erschrocken ab. Als er die Herausforderung dann doch mutig annahm, hat es mich mit grosser Freude erfüllt.

Tränen beim Abschied
Wenn ich im Urwald auf Reisen unterwegs bin, frage ich mich jeweils, ob die Leute mich als Shipibo akzeptieren werden. Jedes Mal erlebe ich, dass die Leute sehr zufrieden sind. Bei der Abreise fällt der Abschied schwer und wir umarmen uns oft unter Tränen. Das motiviert mich, weiterhin die Mühsale solcher Reisen auf mich zu nehmen. Ich träume davon, dass immer mehr Christen verschiedener Stämme einander besuchen, ermutigen und im Glauben stärken.» 


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