Histoires

«Am liebsten baue, repariere, helfe ich …»

«Na klar fahre ich dich zurück an unsere Schule im Stadtteil El Agustino!», strahlt Juan. Minuten später lädt er mein Gepäck in den Kofferraum und los geht’s. Es ist Hauptverkehrszeit und wir tauchen ab in eine Welt von Hupen, Ampeln, Drängeln, Abgas, Vollbremsen, Strassenverkäufern, Polizei, Sirenen.

Während wir aus dem Tor fahren, frage ich nach seiner Aufgabe im Kinderspeisungsprogramm. «Ich habe schon fast alles gemacht», meint er. «Ich war Hilfskoch bei der Zubereitung des Frühstücks, fuhr mit der Milch zu den Verteilstellen, habe Transportdienste übernommen und so weiter. Aber am liebsten habe ich etwas gebaut oder repariert.» Dazu gab es natürlich viele Gelegenheiten, denn die Menschen der Slums leben in armseligen, oft dürftig zusammengeschusterten Hütten. Praktische Hilfe ist überall gefragt.

Juan biegt in eine Nebenstrasse ein. Sie ist zwar gespickt mit Löchern, aber wir kommen einigermassen vorwärts. Er kennt nicht nur die Gegend wie seine Hosentasche, er kennt auch die Bewohner. Er erinnert sich an viele Geschichten. Zum Beispiel, wie er und der Koch einmal von einer Jugendbande angehalten wurden, als sie frühmorgens mit der Milch und den Brötchen in die Slums fuhren. Er erkannte einen der Jugendlichen und rief: «Leo, du willst uns doch nicht etwa ausrauben?! Wie oft hast du selber das Frühstück bekommen!» Jetzt erinnerte sich der junge Mann. Sofort stellte er sich schützend vor den Lieferwagen. «Niemand tut diesen Männern etwas an! Sonst bekommt ihr es mit mir zu tun», drohte er den andern … und die Mitarbeiter des Kinderspeisungsprogramms konnten unbehelligt weiterfahren.

Wir beobachten, wie sich zwei Strassenverkäufer streiten. Auch Juan war als junger an Auseinandersetzungen beteiligt. Er war überzeugter Marxist. Doch als er die Bibel kennenlernte, änderte er seine Meinung. Er sagt: «Man muss lernen, sich an Gott zu erfreuen. Wenn man das tut, so kann man an allem Freude haben, es echt geniessen. Nichts wird einem zu viel, durch nichts wird einem langweilig, nichts nervt.»

Ein Auto biegt ungeschickt ab und verstopft mehrere Spuren. Ein ungestümes Hupkonzert bricht los. Und wieder folgt eine Geschichte: «Da gab es einen Jungen, etwa fünf Jahre alt, der war schrecklich! Er störte andauernd, war durch nichts zu bändigen. Da nahm ich ihn einfach auf meine Schultern und arbeitete weiter. Kurz darauf wurde er ruhig, und schliesslich schlief er ein.» Juan überlegt: «Ist das nicht wie bei Gott? Die Tatsache, dass er uns trägt, gibt uns doch ebenfalls Geborgenheit, Frieden und Ruhe.»

Ein Lieferwagen will sich vordrängen. Juan lässt ihm die Vorfahrt. Was ist für ihn das Wichtigste für einen Mitarbeiter des Kinderspeisungsprogramms? «Alle Dinge für Gott tun und nicht für Menschen», meint er. «Diese Stelle habe ich in meiner Bibel unterstrichen. Wenn man nach diesem Prinzip handelt, bekommt alles seinen richtigen Stellenwert, Probleme lassen sich lösen.»

Mit so vielen Anekdoten sind die knapp zwei Stunden wie im Flug vergangen. Es fehlen nur noch wenige Meter bis zum Ziel. «Und was wirst du nach deiner Pensionierung machen?», will ich noch wissen. «Ich gehe ins Hochland, um mich um meine Mutter zu kümmern. Sie ist über 100 Jahre alt. Aber wenn ich nach Lima komme, werde ich im Büro der Kinderspeisung anrufen und fragen, ob es etwas zu reparieren gibt …»

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